Ein Haus voller Leben
Ohrenbetäubend kreischt eine Steinsäge auf. Hinter dem Inklusionshaus in Waldernbach, einem Ortsteil der Gemeinde Mengerskirchen, schneidet ein Bauarbeiter große, zentimeterdicke Bodenplatten in Passform. Zwei andere Männer transportieren die gräulichen Steine mit einem Schubkarren und wuchten sie auf einem Balkon an der Hausfront an die richtige Stelle. Im Haus und ein in Stockwerk weiter unten – im späteren Bistro – reinigen zwei Frauen die Fenster. Die Treppengeländer zum Aufgang auf die Balustrade im ersten Stock sind bereits abgeklebt. In wenigen Wochen soll hier gestrichen und alles eingerichtet sein.
Nicht nur für die Bewohner, sondern für alle
Es sind die letzten Arbeiten am Inklusionshaus in Waldernbach. Doch auch wenn noch nicht alles fertig ist, leben die ersten Bewohner schon hier. Zwei der Appartements im ersten Stock sind bereits bezogen. Drei Menschen mit Handicap wohnen schon seit Anfang März in der inklusiven Wohngemeinschaft im Erdgeschoss. „Natürlich wünschen wir uns, dass das Haus mit Leben erfüllt ist und dass die Menschen, die hier leben, glücklich sind“, freut sich Nicole Schäfer, Vertreterin des Bildungsforums Mengerskirchen und des inklusiven Vereins „Mittendrin für Alle“. Ein Ort der Begegnung für Jung und Alt mitten im Zentrum des 1.700-Einwohner-Dorfes und ein echter Lebensmittelpunkt soll das Inklusionshaus werden. „Nicht nur für die Bewohner, sondern für alle“, erklärt Schäfer, die als Rektorin der Franz-Leuninger-Schule in Mengerskirchen tätig ist.
„Alle haben uns gesagt, dass dieses Projekt nicht realisierbar ist.“
Für diese Idee und dafür, dass das Inklusionshaus in Waldernbach auf dem Land und nicht in einer Stadt gebaut wird, haben die Mitglieder des Vereins jahrelang gekämpft. Lange Zeit habe der Verein vergeblich nach Partnern gesucht, die das Projekt umsetzen wollten: „Alle haben uns gesagt, dass dieses Projekt auf dem Land nicht realisierbar ist“, erzählt Schäfer. Also habe sich der Verein dafür entschieden, das Inklusionshaus in Eigenregie umzusetzen. Mehr als ein Jahr hätten die Mitglieder um Mittel geworben, um das heute 2,8 Millionen Euro teure Projekt zu finanzieren. Nur dank vieler Spenden von Privatpersonen, Zuwendungen der Gemeinde, des Landes und auch des Bistums Limburg stehe das Projekt jetzt kurz vor dem Abschluss. Das Inklusionshaus ist nicht nur ein Haus für alle, sondern auch ein wenig von allen. „Viele Menschen haben uns bei der Umsetzung der Idee unterstützt. Es gab so viele verschiedene Professionen an einem Ort und einer Kommune. Und es hat sie alle gebraucht“, sagt Schäfer.
„Meistens zocken wir hier etwas zusammen“
Es ist halb vier. Lorenz und Leon haben Feierabend und sind von der Arbeit in einer Limburger Werkstatt für Menschen mit Handicap zurück. Auf der blaugrauen Couch in der Wohngemeinschaft des Inklusionshauses haben es sich die beiden jungen Männer bequem gemacht und starren gebannt auf den an der Wand hängenden Großbildfernseher. Auf einer Videospielkonsole spielen sie gemeinsam ein Autorennspiel. „Meistens zocken wir hier etwas zusammen“, sagt der 18-jährige Leon. „Ich finde es aber auch gut, dass man sich mit anderen unterhalten kann, die dieselben Interessen haben.“ Acht Personen haben an dem Tisch in dem stilvoll eingerichteten Gemeinschaftsraum Platz, an einer strahlend weißen und inklusiv gestalteten Küchenzeile können gemeinsame Mahlzeiten vorbereitet werden. Neben den sieben Zimmern der Bewohner gibt es im Inklusionshaus auch Schlafmöglichkeiten und ein Büro für die sozial- und heilpädagogischen Fachkräfte von „zuhause mobil“. Die Mitarbeitenden des gemeinnützigen Pflegedienstleisters unterstützen die Bewohner im Alltag, bei Behördengängen und anderen Besorgungen. Dabei geht es nicht darum, den Bewohnern alle Entscheidungen abzunehmen oder ihnen ihren Alltag vorzuschreiben, sondern ihnen Entscheidungsräume zu bieten, damit sie ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.
Wohnen und arbeiten mitten im Ort
Das Inklusionshaus soll aber nicht nur dringend benötigten Wohnraum schaffen, sondern auch den Ortskern als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens erhalten und aufwerten. „Das ist kein Waldernbacher Problem: Jedes Dorf, jeder Ort, steht vor dieser Herausforderung“, erklärt Stefan Orth von der für das Projekt gegründeten Genossenschaft Inklusionshaus Dorfmitte, die das Haus trägt. „Beim Inklusionshaus geht es nicht nur um Wohnen, sondern auch um Arbeiten“, macht Orth klar. Im Inklusionshaus gibt es ein Bistro und im angrenzenden ehemaligen Feuerwehrhaus ist eine Werkstatt für Menschen mit Handicap eingerichtet worden. Hier sollen einige Bewohner später auch arbeiten. Durch das Inklusionshaus würden zudem neue Wege und Vernetzungen geschaffen. Zum Familienzentrum, dem Gemeindehaus und der katholische Kirche ist es nicht weit. Auf dem Außengelände des Inklusionshauses sollen noch ein Grillplatz gebaut und Spielgeräte aufgestellt und so die Dorfmitte belebt werden.
Wohnraumoffensive des Bistums Limburg fördert Projekt
Die Idee und die Umsetzung haben auch die Verantwortlichen der Wohnraumoffensive des Bistums Limburgs überzeugt. Das Inklusionshaus wird mit 170.000 Euro gefördert. „Im Inklusionshaus finden die Bewohner eines sicheres Zuhause“, erklärt Fabrizio Suma, zuständiger Referent für die Wohnraumoffensive des Bistums. Bei der Entscheidung sei aber besonders ausschlaggebend gewesen, dass es hier nicht nur um Wohnen gehe, sondern der Mensch und seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Mittelpunkt stehe. Mit dem Projekt würde zudem in Waldernbach eine neue Ortsmitte geschaffen. „Wir unterstützen hier auch Menschen, die ein Problem gesehen, lange Zeit nach einer Lösung gesucht und dann entschieden haben, es selbst in die Hand zu nehmen. Da sagen wir: Das wollen wir als Kirche mit ermöglichen.“
Das Inklusionshaus in Waldernbach
Das Inklusionshaus im Zentrum Waldernbachs (Ortsteil der Gemeinde Mengerskirchen) bietet unterschiedliche Wohnformen an. Im Obergeschoss befinden sich sechs barrierefreie Wohnappartements für Menschen unterschiedlicher Generationen. Das Untergeschoss beherbergt eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für sieben Bewohnerinnen und Bewohner mit Handicap. Im Haus selbst sind auch ein Pflegestützpunkt sowie ein Bistro untergebracht. Dort soll unter anderem eine Möglichkeit zum Frühstücken, Mittagstisch und Kaffee angeboten werden. In unmittelbarer Nähe befinden sich das Familienzentrum, Einkaufsmöglichkeiten, Sportstätten und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung.
Die Wohnraumoffensive im Bistum Limburg
Die Fragen nach bezahlbarem und zukunftssicherem Wohnen und gleichwertigen Lebensbedingungen in städtischen und ländlichen Räumen haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Vor diesem Hintergrund hat Bischof Dr. Georg Bätzing 2020 die Wohnraumoffensive des Bistums Limburg als sozialen Impuls der Kirchenentwicklung ins Leben gerufen. Mit der Initiative fördert die Diözese beispielgebende, innovative, nachhaltige, integrative und soziale Wohnungsbauvorhaben im Gebiet des Bistums Limburg mit 17,5 Millionen Euro. Die Förderung kann zusätzlich zu anderen Mittelzuwendungen erfolgen. Ab sofort können sich Architekten, Gruppen und Bauträger mit Ideen und Konzepten bewerben. Weitere Informationen, Kontakt und Förderbedingungen unter wohnraumoffensive.bistumlimburg.de.
Eine Broschüre mit allen Informationen kann per Email an wohnraumoffensive@ bistumlimburg .de bestellt oder in digitaler Form heruntergeladen werden.
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